Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf
1973, 16 mm (1:1,33), s/w, 76 Min.
Regie, Buch, Ton: Lothar Lambert, Wolfram Zobus. Kamera: Wolfram Zobus. Schnitt: Helga Schnurre. Produktion: Lothar Lambert.
Darsteller: Lothar Lambert, Inge Bongers, Wolfgang Breiter, Irmgard Heikenfeld, Tilman Hemp, Hanna Hüfner, Sigrid John, Karin Kretschmar, Andreas Mannkopff, Christine Oberländer, Margot Proske, Gabriele Reuleau, Hans-Eberhard Schulz, Heinrich Spatz, Wolfram Zobus, als Gäste Dietmar Kracht und Dean Zogby.
Kurzinhalt
Ein braver junger Finanzbeamter bricht beim Ausbleiben der erwarteten Beförderung aus seinem bisherigen Leben aus: Er entflieht seiner dominanten Mutter und seinem weiteren Umfeld, mietet ein möbliertes Zimmer bei einem tuntigen Mann und beginnt, immer tiefer in linksradikale Kreise einzutauchen. Nachdem er sich einige Zeit lang mit Theorien des „bewaffneten Kampfes“ beschäftigt hat, besorgt er sich eine Schußwaffe.
Inhalt (ENTHÄLT SPOILER)
Eine Tafel mit dem Titel „Ein Schuß Sehnsucht“. Ohne Ton sieht man Panzer und Kinder, offenbar bei einem Tag der offenen Tür der US-Streitkräfte. Demonstranten mit einem Transparent „Besatzer raus aus Westberlin“. [weiter]
Lothar Lambert erinnert sich (2009)
Werner Grassmann vom Hamburger Abaton-Kino wollte den Film herausbringen, aber nicht unter dem Titel „Sein Kampf“. Um die Anspielung auf Hitlers „Mein Kampf“ zu relativieren, haben wir dem Streifen dann das harmlosere „Ein Schuß Sehnsucht“ vorangestellt.
Die vielen Nacktszenen sind auch hier wieder Zobus zuzuschreiben. „Faux Pas de deux“, der erste Film, den ich alleine gemacht habe, ist ja absichtlich ganz züchtig. Erst einige Jahre später hat sich das wieder geändert. Da war es dann kein Problem mehr, Schauspieler zu bitten, sich auszuziehen. Manche waren schon vorher nackt. Aber mein ursprüngliches Konzept war nicht unbedingt, mit solchen sexuellen Schauwerten Publikum anzulocken. Das hat sich dann eingeschliffen, weil es mein Markenzeichen wurde. In „Sein Kampf“ habe ich dagegen abgebildet, was mich selbst ausmacht: die Verklemmtheit. Da gibt es ja diese Szene am Nacktbadestrand, wo ich mal kurz versuche, meine Badehose ausziehen, mache es aber dann doch nicht. Über die Dreharbeiten hat sich keiner von den Nackten beschwert. Heute würde ich mich das gar nicht mehr trauen. Das kann aber auch mit mir zu tun zu haben, daß ich ängstlicher geworden bin. Einen Film wie „Fucking City“ würde ich gar nicht mehr machen können. Ich habe das Gefühl, da reiht sich eine Sexszene an die andere. Das ist mir damals gar nicht aufgefallen, weil das viel selbstverständlicher war.
Die Aufnahmen von der Demo in München und aus dem Obdachlosenheim hatte Zobus gemacht, die haben wir dann eingebaut. Auch meine Festnahme vor dem Berliner Amerika-Haus am Bahnhof Zoo ist authentisch. Ich hab die Plakate, die ich da trage, aber nicht geschrieben. Es wurde damals, vom AStA oder was weiß ich, aufgerufen zu einer „Spaziergangsdemonstration“: Die Plakate wurden ausgeliehen an Leute, die damit eine Zeitlang in der Hardenbergstraße auf und ab gehen wollten.
Der bärtige Typ in der Diskussionsrunde, der die Bewaffnung der Linken fordert, ist Hans-Eberhard Schulz, ein Jahrzehnt später war der Sprecher der Berliner Polizei. Und der Schwarze in der gleichen Szene, das war ein Liebhaber von mir und wohl zumindest ein Kurier für den DDR-Geheimdienst. Ein hochrangiger Überläufer von drüben hat die Namen vieler Spione im Westen verraten. Das letzte, was ich von meinem Freund gehört habe, war die Meldung im Fernsehen, daß er gesucht wird.
Das lesbische Paar waren Kolleginnen von der „Berliner Morgenpost“: Nachdem ich beim „Abend“ rausgeschmissen worden war, hatte ich noch einmal versucht, eine Festanstellung zu kriegen. Ich schrieb da Werbetexte, war aber immer schnell fertig mit der Arbeit, das behagte dem Chef nicht. Die Büroszenen, die im Finanzamt spielen, haben wir im Verlagshaus von Springer gedreht, während der Arbeitszeit. Ich weiß nicht mehr, weshalb die eine der beiden Damen die Szene, in der sie sich mir erklären will, abbricht, und warum ich das so drin gelassen habe. Wahrscheinlich war da auch das Filmmaterial zu Ende. Und die Szene ein zweites Mal zu drehen? Was das gekostet hätte! Mein Drehverhältnis war meistens 1:1. Die Fehler wurden immer funktionalisiert.
Kritische Anmerkungen
„Ein Schuß Sehnsucht“, eigentlich „Sein Kampf“ betitelt, erscheint auf den ersten Blick vor allem als Werk Wolfram Zobus’: Das explizit Politische war nie Lothar Lamberts Sache, seine Figuren mühten und mühen sich stets mit ihren vielfältigen privaten, nicht zuletzt sexuellen, Problemen ab. Wie weit für diese die Gesellschaft verantwortlich ist, gar die Politik, bleibt vage und weitgehend der Interpretation des Zuschauers überlassen. Insofern verwundert es eigentlich, daß Lambert, insbesondere zu Mauerzeiten, als das sich beständig selbst auf die Schulter klopfende Dufte-Berlinertum noch penetranter blühte als nach 1990, nicht zu Everybody’s Darling avancierte. Vor der allgemeinen Vereinnahmung schützte ihn wohl, daß die entsprechenden Kreise in (Kultur-) Politik und Medien das, was da und wie es gezeigt wurde, doch zu degoutant fanden.
Aber mag auch die Konsequenz aus der Entwicklung der Hauptfigur von „Sein Kampf“ „Zobus“ sein, die psychologische Zeichnung erscheint als „Lambert“: Der von einer dominanten Mutter – wahlweise auch mütterlichen älteren Schwester oder Freundin – erdrückte und gegängelte Mann um die dreißig sollte zu einer Standardfigur im weiteren Schaffen Lothar Lamberts werden. Sie findet sich schon in seinem ersten Soloprojekt „Faux Pas de deux“, in „Nachtvorstellungen“, „Drama in Blond“, „Der sexte Sinn“, bis hin zu einem Streifen aus jüngerer Zeit wie „Aus dem Tagebuch eines Sex-Moppels“. Die Befreiung aus kleinbürgerlicher Enge stand ebenfalls im Mittelpunkt von „Paso doble“, „Drama in Blond“ oder „Der sexte Sinn“. Ein wichtiger Moment im Selbstfindungsprozeß Lambertscher Filmhelden ist der Schritt vor den Spiegel – derweil dort in späteren Streifen getanzt wird, deklamiert der Protagonist hier, passend zur politischen Schlagseite des Werks, parteichinesische Pamphlete neben einem Poster der damaligen linken Politheroine Angela Davis. Aber auch der Tanz fehlt in „Sein Kampf“ nicht, und wie er in Masturbation übergeht, ist ebenfalls ein Element, das Lambert immer wieder einsetzen sollte: Selbstbefriedigung als Teil der Selbstfindung, die von den späten Sechzigern bis zum Hereinberechen der Postmoderne in der ersten Hälfte der achtziger Jahre ein wichtiges Thema in der westlichen Gesellschaft war. Wobei diese Selbstfindung, ganz im Sinne der sexuellen Revolution, immer auch sexueller Natur sein sollte, da psychische Ausgeglichenheit, gar Glück, ohne erfüllte Sexualität undenkbar schien.
Dem Zeitgeist entsprechend fehlt denn auch in „Sein Kampf“ nicht die demonstrative Zurschaustellung von Nacktheit, welche sich ebenfalls in „Ex und hopp“ findet und in „1 Berlin-Harlem“: So zoomt die Kamera, als der zwielichtige Typ, von dem der Protagonist sich eine Waffe besorgt, auf der Straße uriniert, auf seinen Penis. Hingegen erscheinen die Aufnahmen am FKK-Strand, wo Männer, Frauen und Kinder bunt gemischt durcheinanderspringen, nur aus heutiger Sicht gewagt – eine Gelegenheit festzustellen, wie prüde und spießig die Verhältnisse mittlerweile wieder geworden sind.
Was freilich einen Großteil der Faszination und des Interesses an dieser Geschichte eines fehlgehenden und deshalb fatal scheiternden Ausbruchsversuchs ausmacht: Ausgiebig thematisiert „Sein Kampf“ – wo es, wie in „Ex und hopp“ und wie es sich für das Werk von Anfängern gehört, kleine filmische Experimente und Spielereien gibt – die Verirrung radikaler Linker kurz nach 1968 in Sektierertum, fruchtlosem Theoretisieren und wirren Gewaltaktionen. Und avanciert damit zum Dokument einer hoch politisierten Zeit, deren Spannungen und Nervosität in der in Lethargie und Fatalismus versunkenen Biedermeierrepublik Deutschland des Jahres 2009 als sehr fern und fremd erscheinen.
Mehr zu dem Film.
„Die Zeit“ (Wolf Donner) 1973 über den Film.
„Der Spiegel“ 1973 über den Film.