Lothar Lambert

German Mumblecore seit 1971

Sex, der funktioniert, ist letztlich uninteressant

Lothar Lambert im Gespräch über „Zurück im tiefen Tal der Therapierten“


Warum hast du von „Im tiefen Tal der Therapierten“ eine Fortsetzung gedreht – die erste in den fast vierzig Jahren, in denen du Filme machst?

Ich hatte das Gefühl, ich habe die Geschichte im ersten Teil nicht zu Ende erzählt bzw. nicht allen Figuren genügend Gerechtigkeit widerfahren lassen. Außerdem hatten die Darsteller aus „Im tiefen Tal der Therapierten“ wieder Lust, bei mir zu spielen – was liegt da näher, als sie einfach da weitermachen zu lassen, wo sie aufgehört haben? Zumal sie größtenteils begabte Laien oder begabte Selbst­dar­stel­ler sind, die sich auf diese Weise auch nicht in neue Charaktere einfühlen müssen.

In einem früheren Gespräch hast du von der Möglichkeit geschwärmt, in so eine Fortsetzung öfter Flashbacks einbauen zu können. Davon ist jetzt aber nicht viel übrig geblieben.

Das noch häufiger zu machen, hat sich nicht angeboten. Da, wo ich Flashbacks placieren konnte und wo ich es für sinnvoll hielt, habe ich es gern ge­macht, weil ich es auch als Stilmittel reizvoll finde, immer mal wieder eine Schwarz­weißsequenz ein­zubauen. Aber für sind mich es genug. Auch wegen dieser langen „Was bisher geschah“-Rückblende am Anfang. Ich wollte ja nicht, daß der gesamte Film wie eine Reste- und Wiederverwertung wirkt, mit ganz vielen Wiederholungen.

Einige Darsteller aus dem ersten Teil sind jetzt nicht mehr dabei, dafür sind einige neu hinzugekommen. Wie hat sich das ergeben?

Bei Claudia Jakobshagen, die die zwischen dem ersten und dem zweiten Teil ermordete Radiopsychologin Sonja dargestellt hat, hatte das rein praktische Gründe: Sie war einfach so beschäftigt, daß wir keinen Termin fanden, um mit ihr zu drehen. Das tat mir leid, aber die Figur ist ja relativ gut vertreten in der Handlung des zweiten Teils, man spricht über sie und sieht sie auch in den Rückblenden. Und bei der Vor­zimmerdame von Dr. George ist es eben so, daß dieser jetzt auf Rügen ist, und für seine Frau, die die Praxis übernommen hat, habe ich eine neue Sprechstundenhilfe eingeführt. Daniela Ziemann, die die Rolle im ersten Teil gespielt hatte, hat sich mir auch nicht aufgedrängt. Sie ist anderweitig so engagiert, daß sie es mir nicht übelnimmt, wenn ich sie nicht berücksichtige.

Die neue Vorzimmerdame Frau Salzwedel spielt Friederike Biebl.

Das ist die neue Freundin von Schädelwaldt. Da die beiden jetzt nur noch als Paar auftreten, habe ich ihre nähere Bekanntschaft gemacht, und es war ja nicht zu meinem Schaden, wie ich hoffe.
Jedenfalls mußtest du die beiden wahrscheinlich nicht davon überzeugen, miteinander Sex zu haben.
Nein, dadurch waren die Sexszenen ganz einfach. Zumal Friederike Biebl eine natürliche Unbefangenheit an den Tag legt. Es war auch das eigene Bett, in dem die beiden miteinander zur Sache kommen.

Explizit Sex zu zeigen, wie du es in diesem Film tust, stellt ja fast eine Rückkehr zu deinen Arbeiten aus den siebziger und achtziger Jahren dar. Das hast du längere Zeit nicht getan.

Weil ich längere Zeit nicht solch ein unverbrauchtes Naturtalent hatte.

Dahinter steckte nicht der Gedanke: Ich sollte jetzt mal wieder so was zeigen?

Ach Quatsch.

Oder: Die Zeiten haben sich inzwischen dahingehend geändert, daß man so etwas fast schon zeigen MUSS, jedenfalls wenn man einen künstlerisch anspruchsvollen Film machen möchte.

Nein, es war sogar so, daß die Sexszenen gar nicht so weitgehend geplant waren. Als sie gedreht wurden, bin ich aus dem Zimmer gegangen. Ich hätte sonst einen Lachkrampf gekriegt.

Eine neue Figur ist auch der italienische Gärtner von Frau Dr. George.

Rosario Salerno war zeitweilig der Untermieter von Evelyn Sommerhoff, die Frau Dr. George spielt. Ich fand ihn so niedlich, daß ich dachte: Den muß ich einbauen. Und nachdem er die erste Szene, in der er tanzen sollte, bravourös gemeistert hatte, habe ich mir noch eine Szene für ihn und Evelyn Sommerhoff ausgedacht. In der Zwischenzeit hatte er diese lebensgroße Männerpuppe gefertigt, und die war natürlich das beste Argument, ihm noch einen Auftritt zu geben. Er ist ja Künstler, gestaltet sonst aber eher Statuen aus härteren Materialien.

Als Gast ist wieder René Koch dabei, der schon 1998 in „Und Gott erschuf das Make-up“ aufgetreten war.

Er wollte immer mal wieder mitspielen, aber bislang war mir keine Rolle für ihn eingefallen.

Und nun hatte es sich auch angeboten, ihn in seinen eigenen Räumlichkeiten, in seinem privaten Lippenstiftmuseum spielen zu lassen?

Ja. Ich wollte ja eher, daß er richtig verdächtig ist und der Mörder sein könnte. Da hatte er aber doch Bedenken, obwohl seine Rolle natürlich einen fiktiven Namen hätte kriegen können. Als er so schön zittrig sagt: „Seh ich vielleicht aus wie ein Mörder?“ hat man natürlich doch das Gefühl, er könnte es sein. Aber wir wissen ja, daß René Koch kein Mörder ist.

Der Handlungsstrang mit Hilka Neuhof und Dieter Rita Scholl als Mutter und Sohn ist mit dem Rest der Handlung nicht sehr stark verknüpft.

Im ersten Teil liefen die beiden Handlungsstränge auch eher nebeneinander her, nur verbunden durch die Besuche bei Dr. George.

Diesmal standen Hilka Neuhof und Dieter Rita Scholl aber überhaupt nicht mit anderen Darstellern vor der Kamera.

Nein, ich halte das auch nur schwer aus: So viele Leute auf einmal am Set. Außerdem entspricht die Struktur des Films der amerikanischer Fernsehserien, wo auch verschiedene Handlungsstränge nebeneinander her laufen. Auch meine Einführung eines Mörders auf diese läßliche Art und ohne ihn ins Zentrum zu stellen: Das hab ich mir abgeguckt bei „Nip/Tuck“, wo plötzlich ein „Schlitzer“ auftaucht, der die Werke der Schönheits­chirurgen wieder zerstört. Dann ist er in mehreren Episoden gar kein Thema mehr, und plötzlich spielt er doch wieder eine Rolle, bis er irgendwann entlarvt wird.

Wie mittlerweile bei dir üblich, läßt du wieder einzelne Szenen meist nicht durchlaufen, sondern verschränkst zwei Szenen miteinander. Steckt dahinter die Angst, einzelne Szenen könnten nicht stark genug sein, nicht tragen?

Diese Parallelmontagen machen mir auch einfach Spaß: Allein schon, den Punkt zu finden, wo eine Szene für einen Moment abgebrochen werden kann, und wie sich die beiden miteinander verschränkten Szenen womöglich gegenseitig bereichern. Der Nachteil dieser Methode mag sein, daß man nicht zur Ruhe kommt. Das kann einen auch nervös machen, vor allem wenn man Fan eines etwas ruhigeren Erzählstils ist. Aber ich kann ja beim Schneiden nur mein eigenes Rhythmusgefühl zugrunde legen und nicht das der potentiellen Zuschauer. Für den einen wird’s immer noch zu langsam sein, für den anderen zu hektisch.

Ich könnte mir vorstellen, manche Szene würde stärker wirken, wenn du sie mal nicht unterbrechen und womöglich auch ein Loch oder Ruhe mal aushalten würdest.

Ich hab mein Leben lang unter solchen Filmen, die du beschreibst, gelitten. Insofern ist das für mich Horror: Wirken lassen bis zum Gehtnichtmehr. Ich hab noch schreck­liche Erinnerungen an solche Filme. Das ist nicht mein Ding. Meine Filme sind ja nun nicht darauf angelegt, das Tiefgründigste auszuloten, was man mit diesem Medium machen kann.

Hattest du denn diesmal die Absicht, einen Krimi zu drehen?

Nein, die Absicht war eben, sich an so ein Serienformat anzulehnen. Und dabei Krimielemente einzubauen, wie das öfter bei den Serien geschieht, die ich sehe. Bei „Desperate Housewives“ etwa zieht auch mal ein Mörder in die Nachbarschaft, und dann ist es doch keiner, oder ein Todesfall war nur ein Unfall und so weiter. Das hat mich einfach mal gereizt. Früher war ich ein absoluter Verächter von Serien. Aber dadurch, daß man die jetzt so schön gebündelt und relativ billig auf DVD kaufen kann und nicht seinen Alltag danach einrichten muß, an welchem Tag die Serie gesendet wird, oder immer darauf achten muß, den Rekorder rechtzeitig zu programmieren, habe ich mich in diese Seriendramaturgie hineingefunden. Außerdem finde ich manche amerikanischen Serien supergut gemacht und vielseitig, thematisch teilweise auch frecher als US-Spielfilme.

Und so ist das Ergebnis eher ein typischer Lambert-Film als ein Krimi?

Ich habe ja schon früher Krimielemente in Filmen gehabt, etwa diese Stalker­geschich­te in „Blond bis aufs Blut“. Das ist so, wie ich keine Schwulenfilme drehe, sondern häufig Filme mit Schwulen. Und das hier ist eben – was weiß ich: Tragikomödie mit Mörder.

Und wieder wird – typisch Lambert – niemand glücklich, der Sex klappt nicht oder bleibt unbefriedigend …

Sex, der funktioniert, ist ja letztlich auch uninteressant. Sex, der nicht funktioniert, sagt mehr über die Leute, die ihn ausüben. Daß er funktionieren soll, ist ja sozu­sagen die biologische Regel, die Abweichungen sind der menschliche Makel. Und wer wird denn schon richtig glücklich? Ein Happy End gibt es, wenn die Handlung an einer hoffnungsvollen Stelle abgebrochen wird.

Daß du über die Aufnahmen von Schädelwaldt mit seinen Filmeltern Anne-Marie Chatelier und Konrad Tidow größtenteils Musik gelegt hat, liegt daran, daß es sich um nicht verwendete Aufnahmen für einen anderen Film handelt, und die darin geführten Gespräche hätten nicht zur Handlung gepaßt?

Ja, das waren Aufnahmen, die eher für meine Dokumentation „Alle meine Stehauf­mädchen“ gedacht waren. Ich konnte gerade noch die paar Sätze über das Haus in Frankreich verwenden, die jetzt zu hören sind. Das war eine Notlösung, aber auch ein schöner Moment, wo mal nicht gequatscht wird.

Und dann bringen sich die Eltern um – wie es auch deine Eltern getan haben.

Davon ist die Handlung wahrscheinlich inspiriert. Ich hab ja bei dem Thema keine Berührungsangst. Und es ist die Umkehrung dessen, was Anne-Marie Chatelier, die Krebs hatte und inzwischen gestorben ist – ich weiß gar nicht wie –, in „Alle meine Stehaufmädchen“ gesagt hatte: Daß sie nie von ihrer Dachterrasse springen, sondern sich eher mit Tabletten umbringen würde. Im Film habe ich ihre Figur springen lassen.

So wird immerhin sie kein Opfer des Lippenstiftmörders. Soll der eine Reverenz sein an den berühmten Lipstick Killer, dessen Fall ja auch in Fritz Langs „While the City Sleeps“ verarbeitet worden ist?

Wenn ich darauf Bezug genommen habe, dann ist das unbewußt geschehen. Einen Lippenstiftmörder zu erfinden, bot sich einfach an durch René Koch mit seinem Lippenstiftmuseum. Ich bin ja auch ein Fan von Kriminalliteratur, und da spielen öfter Lippenstifte eine Rolle, das ist einfach ein Krimiklischee.

Wer der Lippenstiftmörder war, erfahren wir letztlich aber nicht.

Da kann der Zuschauer spekulieren. Es gibt Indizien, daß es doch der Visagist war, aber das beste Motiv bzw. das nachvollziehbarste hatte Dr. George.



Das Gespräch wurde am 1. November 2011 geführt von Jan Gympel.